STUTTGART

Das Stuttgarter Büro hat mit dem Einzug in die neuen Räumlichkeiten, nicht nur einen örtlichen Wandel, sondern auch ein neues Verständnis des Begriffes Büro erlebt. Nach den Jahren der Pandemie wurde im Allgemeinen das Konzept von Büro / Arbeitsplatz und Firmenpräsenz im städtischen Raum umgestaltet. Viele Mitarbeitenden haben sich  mit der Möglichkeit des Homeoffice nicht nur arrangiert, sondern sehen die heimischen Wände nun als  festen Arbeitsort an. Besonders bemerkbar ist es in jenen Branchen, die keine konstante Präsenz vor Ort erfordern. So auch, wenn auch in eingeschränkter Form, die Arbeit bei Kienbaum.

Diese Faktoren, kombiniert mit dem Konzept von New Work führten dazu, dass  in Stuttgart einen Co-Working-Space bezogen haben. Hier wird der Empfang und die großen Besprechungsräume mit anderen hier ansässigen Unternehmen geteilt. Für die Kunst bedeutet dies, eine kleinere, aber dezidiertere Auswahl für die vorhandenen Flächen: Schwerpunkte der Sammlung, wie Imi Knoebel, Carl Ostendarp, David Reed und Jorinde Voigt, finden Ergänzung durch Arbeiten von Peter Halley, Michael Venezia oder Michael Wesely.

Wenn man sich vom Empfang in Richtung Büros bewegt, trifft man unmittelbar auf zwei Arbeiten auf Papier von Imi Knoebel (*1940). Der Künstler wurde bedeutend vom Minimalismus beeinflusst. Diese Kunstströmung strebt nach Objektivität und schematischer Klarheit. Typisch für den Minimalismus sind das Reduzieren auf einfache und übersichtliche, meist geometrische Grundstrukturen häufig in serieller Wiederholung. Dabei steht das Werk immer im Mittelpunkt: Referenzen werden eliminiert, so dass viele Arbeiten dieser Strömung keinen Titel tragen, oder als Ohne Titel bezeichnet werden. Knoebel spielt mit diesem Aspekt und betitelt seine Werke immer wieder mit einem Hauch Humor.

Dies geschieht auch bei den zwei Werken aus der Serie Messerschnitte, die ab dem Jahr 1978 entstanden. In diesen Drucken setzte Knoebel zufällig gefundene freie Formen in von ihm festgelegten Farben splitterartig zusammen. Als Kontrast zu den bunten und langgezogenen Flächen der Messerschnitte, steht eine weitere Arbeit auf Papier von Knoebel, mit den Titel Alle Farben. Der Titel steht in starken Widerspruch zum Bildinhalt, der aus einer schwarzen amorphen Form besteht, die sich vom Weiß des Papieres markant abgrenzt. Gleichzeitig ist die Arbeit trotz der Reduzierung auf die Nichtfarben Schwarz und Weiß durch ihren Titel und in der Vorstellung des Betrachters, bunt.

Ähnlich wie im Kölner Büro, gibt es auch hier eine Wand, wo mehrere kleine Arbeiten von Carl Ostendarp (*1961) mit- und zueinander wirken.

In der Tradition und als Weiterentwicklung der Pop Art kombiniert Ostendarp die Kunst mit der Alltagskultur. In seinen Bildern und Zeichnungen sehen wir verkürzte Hände, Köpfe und Füße, Landschaften, die nur durch zwei horizontal voneinander getrennte Farbflächen als solche assoziiert werden, aber auch Lautmalerei, die in bunten und schrillen Farbfelder eingesetzt sind. Das Abgebildete erinnert in seiner comicartigen Ausführung an Kinderbuch-Illustrationen, kann aber durchaus elementare Themen des Lebens und der Malerei aufgreifen. Die Figuren sind bis zur völligen

Abstraktion verkürzt und dennoch bleiben die Formen als etwas Figürliches erkennbar. Die fünf Arbeiten bieten einen Überblick in Ostendarps Bildrepertoire: ein Fuß, eine Hand, eine Landschaft, ein Schriftzug und, last but not least, eine Rekonstruktion einer Ausstellungssituation, denn Ostendarp präsentiert seine eigenen Malereien häufig auf farbigen Wänden, die seine Bildsprache aufgreifen. Gegenüberliegend befindet sich eine limitierte Edition von David Reed (*1946), die im Rahmen der Ausstellung The Mirror and the Pool im Museum Haus Lange in Krefeld produziert wurde. Sie bildet eine Ergänzung zu den großen Malereien des Künstlers, die einen der Schwerpunkt der Sammlung Kienbaum bilden.

Michael Weselys (*1963) Fotografien setzen sich mit den unterschiedlichsten Sujets auseinander, doch entstehen viele mittels derselben Technik. Insbesondere basiert das Werk Weselys auf eine extreme Langzeitbelichtung und die Verwendung von selbstgebauten Fotoapparaten. Durch diese lange Belichtungszeit können Prozesse und Phänomene zwar, unscharf und verwischt, aber in ihrer Entwicklung festgehalten werden. Das Sujet, was am längsten und ohne Bewegung oder Transformation dem Licht ausgesetzt wird, ist dann am Ende am besten sichtbar. Dieses Verfahren lässt sich bei seiner Serie der Stilleben besonders gut beobachten: dem Verfall eines Blumenstraußes, dessen Blüten immer mehr den Kopf hängen lassen und ihre Blätter verlieren. Wesely bedient sich dieser Technik auch für Architekturbilder, in denen er den Bau oder Umbau von Gebäuden und städtischen Umgebungen beobachtet. Aus dieser Zeit stammt auch die Arbeit The Epic View die im Mies van der Rohe Haus Berlin realisiert wurde. Dazu montierte Michael Wesely  für ein Jahr zwei Kameras mit permanent geöffneten Linse sowohl im, als auch am Mies van der Rohe Haus. Beide Kameras waren für ein Jahr auf den Innenhof, mit Blick in die Natur, gerichtet. Alle Geschehnisse vor der Linse wurden aufgezeichnet.

Die zwei verschiedenen Kameraaufzeichnungen hat der Konzeptkünstler am Ende des Projektes zu einem einzigen Bild vereint, das dann in einer Ausstellung im Mies van der Rohe Haus zu sehen war. Das Bildmotiv wurde von dem Ausblick spiegelverkehrt installiert, um das Innen mit dem Gegenüber in eine neue Beziehung zu setzen. Im Stuttgarter Büro hängt nicht die Arbeit ansich, sondern eine vom Künstler angefertigte Installationsansicht.

Die vier Studies von David Reed konterkarieren durch die gestische Pinselführung und den leuchtenden Farben die Fotografie Weselys. Im Werk des US-Amerikaners sind die Studies von großer Bedeutung, denn sie sind der vorbereitende Schritt für die großformatigen, meist horizontalen Malereien, die fester Bestandteil seines Repertoires sind und auch eine maßgebliche Rolle in der Sammlung spielen. Das malerische Werk Reeds lässt kurze Entstehungszeiten vermuten, als hätte der Künstler „eben mal den Pinsel“ über die Leinwand geführt. Auch evoziert es Assoziationen zur Graffiti Kunst, beziehungsweise Sprayarbeiten. In der Tat ist die Produktion des Künstlers relativ beschränkt und er arbeitet teilweise Jahre an seinen Bildern. Die Farbe wird oft aufgetragen, dann wieder abgeschliffen und durch eine ganze Reihe von festgelegten Motiven ergänzt. Um diese zahlreichen Arbeitsschritte festzuhalten und die Ergebnisse seines Experimentierens auszuwerten, führt Reed Tagebuch. Als Pendant zu jedem Werk, gibt es eine umfangreiche Dokumentation in Form von Bild- und Textmaterial. Die Studies sind ein Teil davon.

Im dritten Raum auf der linken Seite geht man auf drei Arbeiten von Jorinde Voigt (*1977) zu. Das Werk der in Berlin lebenden Künstlerin nimmt in der Sammlung Kienbaum eine besondere Stellung ein. Jochen Kienbaum begleitet sie seit Beginn ihrer Karriere und hat über die Jahre die verschiedenen Entwicklungen ihres Werkes erlebt. Ihr werden regelmäßig große und auch internationale Einzelausstellungen gewidmet, zu denen die Sammlung Kienbaum über die Jahre immer wieder Werke als Leihgaben beigesteuert hat. Das Werk Voigts zeichnet sich besonders aus, durch die Auseinandersetzung mit Phänomenen wie Zeit, Geschwindigkeit oder Raum. Dies passiert in ihrem Frühwerk durch filigrane Zeichnungen auf Papier. Zu dieser Werkphase zählen auch die Arbeiten Konglomerat Studie 10, Konglomerat Studie 16 und 2 küssen sich. Diese reduzierten Zeichnungen erinnern an die Tabellen und diagonalen Linien der Minimal Art.

Ihnen gegenüber befindet sich ein Digitaldruck von Peter Halley (*1953). Der US-Amerikaner beschäftigt sich seit mehreren Jahren mit der Farbfeldmalerei; in seinen Bildkompositionen geht es ihm um das Verhältnis von rechteckigen Formen und Farbflächen. Die Vorgehensweise wirkt wie eine Routine, denn in seinen Arbeiten gibt es in der Regel ein zentrales 

Rechteck, das der Künstler als Cell bezeichnet, ausgehenden von diesem führen, zahlreiche Verbindungen (Conduits) zu anderen Rechtecken. Der Druck im Stuttgarter Büro gehört zur Serie Exploding Cell, die, wie der Titel bereits verrät, kein geordnetes System mehr darstellt, sondern in eine regelrechte Farbenexplosion übergeht: Die Rechtecke verschwinden, es sind nur noch Farbverläufe zu erkennen, die sich gegenseitig „kontaminieren“. Dies lässt sich als Weiterentwicklung des strengen „Halley´schen Systems“ der frühen Arbeiten lesen und steht stellvertretend für viele Systeme die ähnlich agieren. Um diesen Gedanken etwas weiter auszuführen, schrieb der Kurator Max Hollein hierzu: „Peter Halley war schon vor 30 Jahren seiner Zeit weit voraus: Mit seinen Prison und Cell Paintings manifestierte er die Logiken, Abhängigkeitsverhältnisse und Organisationsformen des sozialen Raums. Seine Arbeiten haben eine starke seismografische Qualität: In seinen geometrisch-abstrakten Bildern und seinen ortsspezifischen Installationen wirft er einen analytischen und kritischen Blick auf die Raum-, Kommunikations- und Organisationsstrukturen, die den Lebensalltag der Menschen dominieren. Heute, da unser Leben von Algorithmen der Digitalindustrie und von oberflächlichen Reizen der Medienwelt geprägt und verändert wird, stehen wir mitten in einer Halley’schen Komposition.“

Im Besprechungsraum stehen sich zwei Werke mit besonders leuchtenden Farben gegenüber: die Arbeiten Rupprecht Geigers (1908 – 2009und Michael Venezias (*1935) zeichnen sich durch die fluoreszierenden Farben aus und sind so mit einem hohen Wiedererkennungsfaktor verbunden. Obwohl zwei unterschiedlichen Generationen angehörig und geografisch voneinander getrennt, verbindet die zwei Künstler über die leuchtenden Farben hinaus auch die Technik. Beide rühren ihre Farben selbst an und tragen sie dann mittels einer Sprühpistole auf die Leinwand oder das Papier. Die Grundformen Geigers Bilder bestehen aus Dreiecken, Rechtecken und quasi Kreisen, vermutlich eine Reminiszenz, seiner früheren Tätigkeit als Architekt, ein Beruf, indem er viele Jahre tätig war. Dennoch sind diese Formen weder exakt geometrisch noch in einer konstruktiven Ordnung. Sie wirken wie frei zitierte Elemente, die in einem eigenen Universum schweben, manchmal wie eine untergehende Sonne, manchmal wie ein Objekt der Begierde, das sich durch diese markant leuchtenden Farben von der Umgebung absetzt. Geiger erwähnte immer vier Landschaften, die seine Arbeit prägten: Bayern, Spanien,

Griechenland und Russland. In den ersten beiden verbrachte er sein Leben, in den anderen war er im zweiten Weltkrieg als Kriegsmaler tätig. Die Sujets und die grellen Farben sind also stückweise auch eine Hommage oder persönliche Interpretation dieser Settings und eine Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte. Venezia war insbesondere in den 1960er, zusammen mit Dan Flavin, Robert Ryman, Donald Judd und Sol LeWitt eine zentrale Figur für die Erneuerung der Malerei. Der Wunsch sich vom Abstrakten Expressionismus zu distanzieren, mündete in der Produktion von stark reduzierten, unbetitelten Arbeiten, die dann als Objects, nicht als Kunstwerke, ihre Existenzberechtigung fanden: Die Kunstrichtung des Minimalismus hatte somit die Größen der New Yorker School abgelöst.

Im Werk Michael Venezias spiegelt sich dies durch den Einsatz der Sprühpistole wider, die somit den klassischen Pinsel und das damit verbundene Gestische ablöste. Die Arbeiten des Künstlers beinhalten meist die Farbe Silber, die er mittels Metallpulver oder Acryllack erzeugt; das „Sprühen“ ist präzise nachvollziehbar und gibt, gewollt oder nicht, den Arbeiten eine „Leserichtung“ vor; Die Sprühfarbe verbreitet sich immer vom Bild- oder Blattrand in Richtung Trägermitte.  

Nach oben scrollen