
Hamburg
Die Frankfurter Kienbaum Filiale erhielt 2022 eine moderne Büroarchitektur mit großen offenen Flächen, farbigen Wänden, einer Open-Desk-Policy, kleineren Büros für konzentriertes Arbeiten und einem geräumigen Kundenbereich mit verschiedenen Besprechungsräumen. Kunst hängt in allen Bereichen und wurde mit besonderem Bezug zu den Gegebenheiten vor Ort, d.h. der Architektur der Räume, der Farben, der Laufwege und der Blickrichtungen ausgesucht.
Alle Kunstwerke stammen aus der Sammlung Kienbaum. Mit Imi Knoebel, Fabiàn Marcaccio, Carl Ostendarp und Birgit Werres sind Schwerpunkte der Sammlung Kienbaum vertreten, denen jüngere
künstlerische Positionen und Neuzugänge wie Max Fintrop, Anna Nero, Huseyin Sami und Yuki Yamamoto gegenübergestellt werden, was den Charakter der Sammlung ausmacht und inhaltliche Bezüge über die Generationen hinweg aufzeigt.
Die Werke von Katharina Hinsberg und Andreas Karl Schulze sind sogar als Auftragsarbeiten für Kienbaum entstanden. Die Wandarbeit von Schulze hat der Künstler speziell für den Frankfurter Standort adaptiert und selbst installiert.
In der Lounge hängen die zwei Malerein von Katharina Grosse (*1961) und Huseyin Sami (*1979). Katharina Grosse gehört zu einer der international erfolgreichsten deutschen Künstlerinnen. Sie ist bekannt für ihre raumgreifenden Malereien, bei denen sie mithilfe einer Spritzpistole Gegenstände, Stoffe und ganze Räume besprayt und dadurch die Malerei vom klassischen Träger Leinwand löst. Bei der Arbeit in Frankfurt handelt es sich allerdings um eine frühe Arbeit der Künstlerin, als sie noch am Anfang ihrer Karriere stand. 1997 malte Katharina Grosse noch mit großen breiten Pinseln. Sie benutzt ungewöhnliche Leuchtfarben, das Pink und das Grün stehen im starken Kontrast, überlagern sich oder scheinen durch die darüberliegende Farbe durch. Die Künstlerin spielt hier deutlich mit den charakteristischen Mitteln der Malerei: Farbe, Farbauftrag und Träger. Durch die Reduktion der Mittel lenkt ihre Arbeit den Blick auf die spezifischen Eigenschaften der Farbe, des Farbauftrages und vergegenwärtigt den Malprozess. Der Bildraum wird in Vor- bzw. Hintergrund geteilt, die Drehung der Leinwand wird sichtbar an der breiten Pinselführung.
Das Prozesshafte und das Hinterfragen der klassischen Malereimittel stehen auch bei der Arbeit des australischen Künstlers Huseyin Sami im Fokus. Seine Malerei von 2018 hat einen sehr klassischen Aufbau, eine weißgrundierte Leinwand ist auf das Rechteck eines Keilrahmens gespannt. Über die ungrundierte Rückseite wurde eine dunkelgrüne Farbe dickflüssig geschüttet. Vor der erstmaligen Präsentation schlitzt der Künstler seine Leinwand mit einem Cutter auf, so dass die farbige Rückseite durch das Nachvorneklappen wie auch das Gerüst des Keilrahmens sichtbar werden. Die weiße Bildfläche wird so erst durch das schnelle Einritzen, einer Geste ähnlich einem Pinselschwung, zur Malerei.
Betritt man den Mitarbeiterbereich, wird man mit einer expressiven Malerei von Elizabeth Cooper (*1972) konfrontiert, bevor sich die Fläche zu den Seiten hin öffnet. Die Malereien der amerikanischen Künstlerin bewegen sich zwischen Pop Art und Abstraktem Expressionismus. Sie bedient sich einer kontrastreichen Farbpalette aus gelb, pink und schwarz. Die Leinwände liegen auf dem Boden, wenn die Farben darauf geschüttet oder gespritzt werden.
Auf einem tiefschwarzen Grund ballen sich die Farben in einem Zentrum am unteren Rand und versprengen oder fließen dann nach außen und oben. Cooper kombiniert Farben unterschiedlicher Viskosität von pastos bis fluide oder durchscheinend, die sich überlagern und an manchen Stellen sogar wieder aufbrechen. Sie bricht für ihre „dreckige Malerei“ dabei bewusst mit der handwerklichen Kenntnis, indem sie den verschiedenen Farbschichten nicht ausreichend Zeit zum Durchtrocknen lässt.
Die Malerei von Yuki Yamamoto (*1981) schräg gegenüber, steht dazu in starkem Kontrast. Sie ist weder expressiv, noch „dreckig“, hier wird nichts dem Zufall überlassen, sondern ist sehr präzise geplant vom Künstler. Die Entstehung ist mit langen Wartezeiten für das Aushärten der einzelnen Farbschichten verbunden. Zentrales Bildelement seiner Malereien sind verschiedenfarbige Kreise bzw. Kreissegmente, die durch die Überlagerung verschiedener Farbschichten entstehen, bei denen der Künstler entscheidet, welche Farbe die anderen überdeckt oder durchscheinen lässt.
Im offenen Bereich wird der Blick durch eine Arbeit von Andreas Exner (*1962) irritiert oder angezogen. Der gelbe Minirock wurde durch den Künstler, der in Frankfurt lebt und die renommierte Städelschule besuchte, durch das Einnähen eines ebenfalls gelbfarbenen, leicht dunkleren Stoffes seiner Funktion beraubt und als Malerei erklärt. Auch diese Arbeit befasst sich mit der abstrakten Malerei. Sie oszilliert zwischen Malerei, angewandter Kunst, Bildhauerei und Installation. Aber natürlich entfacht der Minirock nicht nur kunsttheoretischen Debatten. Gerade die Installation in einer Bürosituation und einer Arbeitswelt, die leider weiterhin stark patriarchalisch dominiert ist, weckt der Minirock zahlreiche Assoziationen und hat bereits spannende Diskussionen unter den Kolleginnen und Kollegen ausgelöst.
Eine Raumseite des offenen Bereichs wird von 117 dicht aneinandergehängten, kleinen Zeichnungen von Katharina Hinsberg (*1967) eingenommen. Diese Zeichnungen sind 2017 für das Kienbaum Artists‘ Book Katharina Hinsberg. Sequence: Drawings 1–117 entstanden.
Jeder Zeichnung liegt ein kariertes Raster zugrunde, mit 117 Farbstiften füllt Katharina Hinsberg die einzelnen Kästchen der
Schreibrichtung folgend. Mit jedem neuen Blatt kommt eine neue Farbe hinzu, breitet sich aus, nimmt sich zurück, bevor sie wieder verschwindet. Die Linien lassen noch deutlich die Bewegung der Hand erkennen und zeugen von der enormen körperlichen Arbeit, die hinter diesen 117 Zeichnungen stehen. Die Verbindung von Zeichnung mit der körperlichen Bewegung wie auch die Ausdehnung im Raum sind wichtig für Hinsbergs künstlerisches Werk.
Das Werk von Tobias Rehberger (*1966) bewegt sich ähnlich wie das von Andreas Exner zwischen Angewandter Kunst, Design, Bildhauerei und Installation. Heute ist Rehberger Professor für Bildhauerei an der Städelschule Frankfurt, wo er auch studierte. Für seine Lampe greift er auf alltägliches Material zurück und bildet die Form des Lampenschirms aus neonfarbenen Klettbändern.
Carl Ostendarp (*1961) zählt zu einer Gruppe amerikanischer Künstler, die zum Kern der Sammlung gehören. Kennzeichnend für Ostendarp sind die großen, einfarbigen Farbflächen, in die er vereinfachte figurative
Elemente oder auch Schriftzüge setzt. In der Tradition der Pop Art schöpft er für seine Motive aus der Alltagskultur: er entlehnt seine Bildsprache des Comics und greift auch die charakteristischen Lautmalereien auf. Seine Papierarbeiten sind daher kleine Irritationen oder wirken im Raum wie ironische Kommentare auf das Gesagte.
Das Kienbaum Artists´ Book 2015 wurde von Carl Ostendarp gestaltet und erschien unter dem Titel Book.
Das künstlerische Material von Andreas Karl Schulze (*1955) sind verschiedenfarbige, kleine Leinwand-Quadrate. Mit diesen schafft er Interventionen, die auf die spezifischen Gegebenheiten des Raumes eingehen. Die Wandarbeit von A.K. Schulze wurde ursprünglich für das 70-jährige Bestehen der Firma Kienbaum in Auftrag gegeben und erstmals in Düsseldorf installiert. Für die Installation am neuen Frankfurter Standort wurde sie leicht abgewandelt und aktualisiert. Jedes einzelne Quadrat ist eigentlich eine kleine monochrome Malerei, aber aus der Gesamtheit aller
kleinen Quadrate bildet sich eine farbige Malerei, die sich über zwei Wände erstreckt und die man erst ganz erfassen kann, wenn man den Flur entlang schreitet. Erst dann kann man auch erahnen, dass sich hinter der rhythmischen Abfolge der Quadrate ein Text verbirgt: Kienbaum Consultants International. Dieser allerdings muss erst dechiffriert werden. Denn die Buchstaben des Schriftzugs laufen von beiden Seiten des Raumes ineinander und der Schriftzug setzt sich horizontal gespiegelt in der zweiten Zeile fort.
Markus Linnenbrink (*1961) arbeitet in Serien. Die Malerei DAYSWHENWEWEREWHITE gehört zu der Serie der Drips. Bei dieser Serie wird die Farbe an der Bildoberkante angesetzt und herausgeschüttet, allein durch die Schwerkraft läuft die Farbe nach unten über die Bildfläche, bis sie zu Boden tropft oder an der Unterkante des Bildes als Tropfen aushärtet.
Eine Malerei von Max Fintrop (*1982) eröffnet den Kundenbereich. Der Maler gehört zur jüngeren Generation von Künstlerinnen und Künstler, die das Thema Farbe und Abstraktion der Sammlung Kienbaum fortsetzen. Tinte, Acryl und Pigment werden mit unterschiedlicher Viskosität und Intensität eingesetzt. Fintrop variiert Tempo und Dynamik des Farbauftrags, wodurch fließende Übergänge scharfen Konturen gegenüberstehen, sich Farbschichten überlagern, Farbflächen verdichten, aber auch einige Stellen der Leinwand nur flüchtig mit Tropfen, Spritzern oder feinen Lasuren bedeckt sind. Durch den Kontrast von farbigen und freien Flächen der grundierten Leinwand entstehen höchst ästhetische Kompositionen, deren Faszination aus der Spannung zwischen energievollen und ruhenden Elementen entspringt.
Einen lebendigen Dialog ergibt die Gegenüberstellung der verschiedenen Grün-, Gelb- und Rost-Töne der Malerei von Fintrop und dem Objekt von Birgit Werres (*1962). Birgit Werres ist eine zentrale Position in der Sammlung Kienbaum. Am Düsseldorfer Standort, bei dem ein besonderen Raumkonzept umgesetzt wurde, ist einer der Besprechungsräume nach ihr benannt. Die Künstlerin entwickelt ihre Skulpturen aus gefundenen oder in der Industrie eingesetzten Materialien. Wie eine Sammlerin oder Jägerin trägt sie bei Streifzügen durch Industriebrachen, Großbaustellen oder Produktionsstätten ungewöhnliche Materialien zusammen. Sie entreißt diese ihrem Kontext und der ursprünglichen Funktion, als Kunstobjekt verleiht sie den Materialien Eigenständigkeit und Präsenz, so dass ihre Formen und Farben in ihrer Besonderheit aufs Neue wahrgenommen werden.
Wie im Eingangsbereich zwischen Grosse und Sami und zwischen Fintrop und Werres, stehen sich im Besprechungsraum Hauptwache wieder eine junge und eine etablierte Position gegenüber.
Anna Nero (*1988) gehört zu den aufstrebenden Malerinnen, die neu in der Sammlung Kienbaum sind. Die in Frankfurt lebende Künstlerin schafft in ihren Malereien surreale Bildräume. Darin überlagert sie Flächen und Formen, die mal malerische Geste, klare geometrische Struktur und objekthaftes Ding sind. So entstehen Bilder, die humorvoll mit unserer Wahrnehmung spielen, Assoziationen an Vertrautes auslösen, aber doch völlig Unerwartetes kombinieren. In der Arbeit Hovering kombiniert sie strenge Linien mit einem vermeintlich beiläufigen Pinselstrich, der in der Luft zu schweben scheint. Dieses Zusammenspiel aus Kontrolle und Spiel zieht sich immer wieder durch die Arbeiten von Anna Nero. Bei der Wahl ihrer Titel nutzt sie oft Bildkomponenten als Teil des Werknamens, erweitert diese dann zu meist humoristischen Ausführungen.
Imi Knoebel (*1940) gehört zu den zentralen Künstlerpersönlichkeiten des Rheinlands [auch ihm wurde ein Raum am Düsseldorfer Standort gewidmet]. Er studierte an der Kunstakademie in Düsseldorf und gilt als wichtiger deutscher Vertreter der Abstraktion der Nachkriegszeit. Seine serielle Arbeitsweise ist geprägt von einem geometrischen Formenvokabular, der Verwendung von ungewöhnlichen Materialien wie z.B. Aluminium, Beton, Glas, Hartfaserplatten und einer facettenreichen Farbpalette. Neben Birgit Werres, Carl Ostendarp und Fabián Marcaccio ist Imi Knoebel einer der zentralen künstlerischen Positionen der Sammlung Kienbaum. Die kleine Glasarbeit greift eine seiner typischen Bildfindungen auf, in der er wie in den Serien Porträts oder Anima Mundi die Zusammenstellung von Farben zueinander durchspielt. Diese Arbeit wurde aus dem gleichen Glas gefertigt, das Imi Knoebel für seine 2015 eingeweihten Fenster für die Kathedrale Reims verwendet hat. Der Effekt der Kirchenfenster in Reims lässt sich vielleicht erahnen, wenn das Licht durch diese Glasarbeit in den Raum strahlt.
Einige Arbeiten der Sammlung Kienbaum sind auch der Gattung Fotografie zuzuordnen. Diese ist als Medium historisch gesehen, der Wiedergabe der Realität verschrieben und damit häufig mit dem Gegenständlichen assoziiert. Jörg Sasse (*1962) gehört zu den Fotografen, die ihr Medium und den Umgang stark hinterfragen. Von der dokumentarischen Fotografie kommend, hat er sich zunehmend auf die digitale Bearbeitung von bereits existierenden (Amateur-) Fotos konzentriert. Die kleinen Arbeiten im Flur gehören zu seiner Werkserie Stillleben, die eigene Aufnahmen von Innenräumen, Schaufenster und Objekten umfasst.
Diese zeigen das Alltägliche, das unbewusst Wahrgenommene, das durch seinen künstlerischen Zugriff erst ins Bewusstsein geholt wird. Die große Arbeit im Besprechungsraum Römer zählt zu der Serie der Tableaus, in der Sasse eigenes oder fremdes Bildmaterial so stark verdichtet bis – ohne die Bearbeitung offensichtlich zu machen – ein neues Bild entsteht. Er verwendet das Bildmaterial völlig frei, wählt Ausschnitte, collagiert und verändert die Farbe, so dass seine Arbeitsweise eher malerisch ist.