Membran – Haut oder Hindernis?
Werke aus der Sammlung Kienbaum
Unsere Ausstellungen im Sommer widmen wir immer der eigenen Sammlung und setzen den Fokus auf eine bestimmte künstlerische Position oder ein Thema. In der Ausstellung Membran – Haut oder Hindernis? zeigen wir Werke verschiedener Künstlerinnen und Künstler, die die bi-axial aufgespannte Bildfläche wie eine Membran nutzen, die abtrennt oder umhüllt, durchlässig ist, ein Davor und Dahinter zulässt, in Schwingungen gebracht oder auch zerstört wird. In der Ausstellung sind Werke u.a. von Huseyin Sami, Thom Merrick, Fabiàn Marcaccio, Imi Knoebel, Andreas Exner und Amy Green zu sehen.
Die bi-axiale Fläche, die durch das Aufspannen eines Trägermaterials auf einen Keilrahmen entsteht, ist eine der Grundbedingungen für ein klassisches Bild. Diese Fläche hebt sich von der Umgebung ab und bildet einen Raum für unterschiedlichste künstlerische Ausformungen.
Das, was einerseits konstituierende Voraussetzung ist, fordert daher auch das Erforschen, Experimentieren und Hinterfragen heraus: Was passiert, wenn etwas Grundlegendes entfernt wird? Wie kann der Raum erweitert werden? Was liegt dahinter? Und wie interagieren das Davor, Dahinter und der Umraum.
Die Ausstellung Membran – Haut oder Hindernis? umfasst unterschiedliche künstlerische Positionen aus über 50 Jahren, was auch die ungebrochene Faszination für das Spannungsverhältnis zwischen dem bestimmenden Material und der Wirkung für die Malerei zeigt.
Die Arbeiten von Imi Knoebel, Ben Öztat oder auch Thom Merrick verfolgen die Frage, wie viel Reduktion möglich ist, ohne das Bildliche als solches aufzulösen. Bei Imi Knoebel ist nur noch das Skelett, der nackte Keilrahmen, übrig; dieser rahmt eine weiße Fläche, setzt den Fokus auf die leere, weiße Wand dahinter. Das, was üblicherweise hinter der Leinwand, also vom Bild verdeckt wäre, wird hier Imaginationsfläche. Thom Merrick trifft eine entgegengesetzte Entscheidung: er entfernt das tragende Gerüst, die Leinwand wird grundiert, monochrom bemalt und darüber hinaus zerschnitten. Durch die Schnitte stößt sich die Leinwand von der planen Wand ab, beult aus, erzeugt kleine Hohlräume.Sein Werk bekommt dadurch etwas Dreidimensionales und auch die Farbwahl evoziert zusätzlich etwas Metallisches. Merrick greift seine Assoziation humorvoll im Titel „Horse“ auf, was vielleicht auch als ein ironischer Kommentar auf das Reiterbild – eine klassische, heroisierenden Skulptur – verstanden werden kann.
Dagegen erscheint die Arbeit von Ben Öztat wie ein Fragment. Die Grundelemente Leinwand und Träger sind noch vorhanden, doch die zweite Achse fehlt und so ist die Leinwand locker um eine Leiste gewickelt; was dadurch aber den Blick auf Vorder- und Rückseite möglich macht, die hier kontrastreich mit Orange-Rot und Schwarz gegeneinandergesetzt werden.
Auch Carl Ostendarp appliziert Material auf seine Leinwand, so dass eine undefinierbare, schwammartige Masse aus der planen Fläche der Leinwand herausquillt. Die weiche Form und der pastellige Farbton wecken Erinnerungen an Marshmallows oder an gehenden Teig. Ostendarp löst nicht die Achsen auf, holt auch nicht das Gerüst des Keilrahmens hervor, sondern bei ihm erfolgt die Ausdehnung aus der Mitte des Bildrechtecks nach vorne in den Raum hinein.
Das Werk von Huseyin Sami wirkt wie eine Kombination aller drei Ansätze. Der Aufbau ist eher klassisch, eine weißgrundierte Leinwand ist auf das Rechteck eines Keilrahmens gespannt. Über die ungrundierte Rückseite wurde eine dunkelgrüne Farbe dickflüssig geschüttet. Bei der erstmaligen Präsentation schlitzt der Künstler im Beisein der Betrachter seine Leinwand mit einem Cutter auf, so dass die farbige Rückseite durch das Nachvorneklappen wie auch das Gerüst des Keilrahmens sichtbar wird. Die weiße Bildfläche wird erst durch einen performativen Akt mit schneller Geste, ähnlich eines Pinselschwungs, zur Malerei.
Andreas Exner und Fabián Marcaccio sehen die Bildfläche eher als zweite Haut oder schützende Hülle. Während Exner ein Kleidungsstück durch minimale Eingriffe zur abstrakten Malerei werden lässt, spannt Marcaccio seine Malerei auf wie ein Zelt. Angekettet wie ein Wachhund erweitert eine dunkle Silikonform sein „Tent Painting“ in den Raum hinein. Doch sein „Malerei-Zelt“ steht nicht nur für einen notdürftigen und temporären Schutz, sondern ist gleichermaßen Projektionsfläche für medial-präsente, gesellschaftskritische Ereignisse der jüngeren amerikanischen Geschichte.
Auch die Arbeit von Gerald Jackson, die wie zusammengetragener Abfall eines Künstler- bzw. Schneiderateliers wirkt, ist ein Zeitzeugnis sowohl für die individuelle wie auch typische amerikanische Geschichte. Mit dem Titel „Bowery Melody“ verweist Jackson sowohl auf das New Yorker Viertel Bowery, das zur Zeit der Entstehung des Werkes noch als sozial-schwache Gegend mit hoher Kriminalitätsrate galt und geprägt war durch zahlreiche Obdachlosenunterkünfte, der sogenannten „Flop Houses“, aber auch auf die ebenfalls dort angesiedelte afroamerikanische Jazzszene (Slug’s Saloon).
In einem Interview beschreibt Jackson sein Aufwachsen als People of Color in Chicago als geprägt durch die schwer zu überwindenden Zuschreibungen durch Hautfarbe, Klassenzugehörigkeit und mafiösen Clanstrukturen, die ihn unbewusst zu selbstzerstörerischen Tendenzen (zu viel Drogenkonsum) verleiteten. Kurz vor der Entstehung des Werkes beginnt er in einer Psychotherapie die Auswirkungen seines Aufwachsens zu analysieren und sich die Kunst als neues Ausdrucksmittel bewusst zu machen. So scheint es nicht zu überraschen, dass sein Werk das Bild in seine einzelnen Elemente dekonstruiert und in seiner Erscheinung mit der Ansammlung von Abfall und Ballast, die (Selbst-)Zerstörung und den Verfall verkörpert.
Richard Allen Morris hingegen hat einen unbeschwerten Umgang mit „Trash“, er recycelt alte bzw. misslungene Leinwände, indem er sie zerreißt und neuzusammenfügt. In seiner Arbeit „Pullman Car“ umwickelt er, ähnlich wie Ben Öztat, eine einzelne Leiste mit unterschiedlich farbigen Leinwandstreifen. Für das extrem schmale und längliche Format wie auch die starke Strukturierung in einzelne Abschnitte wählt Morris einen Werktitel, mit dem er schmunzelnd eine Ähnlichkeit zu den luxuriös ausgestatteten Eisenbahnwagen des amerikanischen Unternehmers George Mortimer Pullman betont.
In alle Richtungen scheint sich das Werk „Intersections“ von Amy Green auszudehnen: die Arbeit besteht aus zwei Leinwänden, dem Leerraum zwischen diesen beiden und kleinen kugel- bzw. ringförmigen Elementen, die die Strukturen der Leinwände auf dem Boden, dem Zwischenraum und zu beiden Seiten fortsetzt. Dabei werden Assoziationen geweckt zu sich abstoßende Flüssigkeiten, Luftblasen auf Wasseroberflächen, aber auch an kosmische Gebilde von Sternhaufen, Planeten und Galaxien. Vielleicht ein morgendliches den Träumen Nachsinnen beim Schütten der Frühstück-Cheerios in die Milchschale?