MÜNCHEN

Beim Betreten der Münchner Kienbaum Filiale geht man auf zwei Arbeiten von Jorinde Voigt (*1977) zu. Das Werk Voigts zeichnet sich besonders durch die Auseinandersetzung mit Phänomenen wie Zeit, Geschwindigkeit oder Raum aus. Dies passiert anfänglich durch filigrane Zeichnungen auf Papier. Ab 2011 kombiniert die Künstlerin ihr persönliches Dokumentationsverfahren mit Collagen. Zu dieser Werkphase zählt auch die Arbeit 28 Views Wildroses (I), die sich hinter dem Empfangstresen befindet. Hier schichtet sie Linienverläufe und abstrakte Farbflächen aus farbigem Papier übereinander. Bei den collagierten Farbflächen handelt es sich um Scherenschnitte, deren Umrisslinien 

Voigt aus der Betrachtung verschiedener Wildrosen ableitet. Jede Farbfläche steht für einen Blick der Künstlerin. Während ihr erstes Betrachten aus der Ferne einen groben Überblick darstellt, nähert sie sich mit jeder weiteren Ansicht (Views) an die Struktur der Blumen an. Jorinde Voigts exaktes Studieren der Pflanzen entspricht der Grundidee ihres Werkes, die Wirklichkeit als Mikrokosmos zu begreifen und schließt an ihre Analysen zu Zeit und Geschwindigkeit an. Den Titel (Views) greift sie in einer ganzen Reihe von Arbeiten wieder auf und bezieht sich auf die japanischen Holzschnitte 100 Views of Mount Fuji von Katsuschika Hokusai (1760 – 1849).

Beim Betreten der 5. Etage befinden sich zur rechten Seite neun Arbeiten von Imi Knoebel (*1940). Imi Knoebel gilt als wichtiger deutscher Vertreter der Abstraktion der Nachkriegszeit. Seine Arbeitsweise zeichnet sich durch ein geometrisches Formenvokabular aus und des Einsatzes untypischer Materialien wie z.B. Aluminium, Beton, Glas, Hartfaserplatten. Die Farbe trägt er meist flächig auf und bedient sich der gesamten Farbpalette. 

Die neunteilige Serie, mit dem Titel Gracy Kelly , variiert eine Form in verschiedenen Farben: Ein farbiges Rechteck wird von vier weiteren, kleineren, in anderen Farben umfangen. 

Durch das ständige Changieren von Farben wirkt die Serie wie eine Farbstudie, die das Verhältnis von Farben zueinander, abhängig von der Umgebung und dem Größenverhältnis behandelt. Andere und früher prominente Beispiele solche Studien finden sich bei Josef Albers, der in seiner Werkserie Hommage to the Square eben dieses Verhältnis über mehrere Jahrzehnte durchspielt. Imi Knoebel verleiht seinen Serien oftmals Titel, die ein Ereignis oder eine Person evozieren, aber in einer sehr persönlichen und abstrakten Form. In dieser, so wie in anderen Serien des Künstlers, kann der Titel als eine Hommage an die jeweiligen Personen oder Ereignissen interpretiert werden.

In der Küche, vor dem Feed´n´Meet, befindet sich eine Zeichnung von Gary Kuehn (*1939), der insbesondere als Grafiker und Bildhauer tätig ist. In den 1950er bis 1960er Jahren war er als Stahlarbeiter und Dachdecker tätig, um sein Studium der Kunstgeschichte zu finanzieren. Diesen beruflichen Hintergrund kann man insbesondere bei seinen bildhauerischen Arbeiten wiederfinden, in denen er Materialien wie Stahl, Holz, PU-Schaum oder Draht verwendet. Parallel dazu entstanden die ersten Zeichnungen, die entweder als Skizze oder Studie zum bildhauerischen Werk dienen, oder einen eingeständige Werkreihe bilden. Mit dem Titel Middelesex bezeichnet Garry Kuehn eine Serie von Zeichungen aus dem Jahr 2013, die mittels einer Schablone entstanden. In diesen Zeichnungen werden vielfarbige Linien nebeneinander gesetzt, überlagern sich teils und bilden so Spiralen, Formen die an muschelförmige Röhren erinnern. Mit einfachen Mitteln entstehen sehr plastische Gebilde auf Papier.

Der Raum feet´n meet kann für eine kleine Kaffeepause oder ein ausgedehntes Mittagessen genutzt werden. Die große Wand wird durch die Grafiken aus der Künstlermappe Volume II. The Big Nix von Thomas Schütte (*1954) bestimmt. Bekannt ist der Künstler vor allem für seine bildhauerische Arbeiten, die geprägt sind von verzerrten, aber gegenständlichen anthropomorphen Formen. Dennoch widmet er sich auch anderen Medien, so zählen auch Architekturmodelle, Keramiken, Fotografien und Künstlerbücher zu seinem Repertoire. Die hier installierten Arbeiten sind 17 lose Blätter einer Mappe.

Sie geben viele Motive und Formen des Künstlers wieder und er kombiniert sie teilweise mit doppeldeutigen oder humorvollen Sprüchen. So werden darin nicht nur Fragen der Architektur und Politik verhandelt, sondern auch weibliche Figuren in gleichsam erotischen wie nachdenklichen Posen dargestellt. Diese Mappe, genauso wie andere des Künstlers, werden von einem Text begleitet, der nicht unbedingt eine Erklärung zum Werk liefert, sondern für weitere Verwirrung sorgt. So handelt der beigefügte Text, mit dem Titel The Big Nix, von der DIY-Produktion von Weihnachtsengeln für den Baumschmuck

Der wandfüllenden Installation gegenüber hängt eine Edition von Andreas Gursky (*1955). Der Fotograf gilt als einer der erfolgreichsten Künstler seines Faches und hat über die Jahre ein ganz eigenes Bildsprache erarbeitet: Die digitale Bildbearbeitung und das extreme Großformat. Die Arbeit Ohne Titel XVIII würde anlässlich einer Ausstellung in der Kunstsammlung NRW in Düsseldorf produziert. In ihr wechseln sich unterschiedlich gefärbte, horizontale Farbverläufe ab, die sich verschiedener Nuancen von Grün, Braun und Rot bedienen. Dabei sind manche Linien durchgehend, manche wirken unterbrochen und wiederum weitere erleben eine besondere Farbentwicklung. Das Ergebnis ist ein strukturiertes, dennoch sehr abstraktes Gesamtbild. Dabei handelt es sich um eine Luftaufnahme von niederländischen Tulpenfeldern, die einen unterschiedlichen Wachstumsstadium erreicht haben: Manche Reihen wurden bereits geerntet, weitere befinden sich noch im Wachstum oder sind kurz vor der Ernte.   

Die Arbeit von Hans-Christian Schinck (*1961) dominiert regelrecht den Besprechungsraum Meeting 3. Die Fotografie 1/05/2010, 5:46 pm – 6:46 pm, S 06°26.486‘ E 039°27.776‘, ein Teil des Fotoprojektes 1h, zeichnet sich durch die wenigen Elemente aus, die in ihr vorkommen: Unten das Meer, oben der Himmel und in der Mitte ein schwarzer undefinierbarer vertikaler Strich. Es handelt sich um eine analoge Schwarz-Weiß Fotografie, die eine Meereslandschaft zeigt. Neben der beruhigenden Wirkung, die diese reduzierte Arbeit ausstrahlt, fällt besonders der schwarze vertikale Balken auf. In der Tat ist dies die Sonne, die Mittels der Technik der Solarisation – ein fotografisches Verfahren, indem durch Überbelichtung die Schwärzung des Fotofilmes überschritten wird –  nicht wie gewohnt als helle Lichtquelle, sondern als schwarze Präsenz erscheint. Neben der Überbelichtung des Fotofilmes, wird auch die Belichtungszeit ausgereizt, denn sie beträgt exakt eine Stunde, wie schon im Titel der Reihe vermerkt

Durch diese zeitliche Verschiebung, die mittels einer Kamera festgehalten wird, entsteht der besondere Effekt des Striches, Die Sonne wird in ihrer Bewegung am Himmel „begleitet“ und dies widerspiegelt sich im Foto als Strich. Der ungewöhnliche Titel der Fotografie ist gleichzeitig ein Hinweis auf die Belichtungszeit und den Entstehungsort: Die Zahlen bilden die Koordinaten des Ortes, in diesem Fall an der Südwestspitze der Insel Sansibar. Die Auswahl des Standortes ist maßgeblich für das Endergebnis. Durch die Breitengrade wird die Neigung der Sonne und ihre Laufbahn am Himmel bestimmt. Am Äquator geht die Sonne jeden Tag senkrecht auf und unter. Auf Sansibar, ein Ort, der sich „nahe“ am Äquator befindet, ist die Bewegung der Sonne ähnlich und somit die Neigung der Sonne auf der Fotografie genau in diesem Winkel.

Auf der anderen Seite, gegenüber der Toiletten, befinden sich vier Radierungen des dänischen Künstlers Per Kirkeby (1938 – 2018), die aus seinem Künstlerbuch Ludwig Wittgenstein stammen. In dem Buch setzt sich Kirkeby mit den Bemerkungen über die Farbe des Philosophen und Sprachwissenschaftlers auseinander. Die Bemerkungen wurden erstmals 1977 von Elizabeth Anscobe aus handschriftlichen Notizen zusammengestellt und veröffentlicht. Sie bestehen aus Bänden, die jeweils 88, 20 und 350 nummerierte Bemerkungen enthalten. Die äußert komplexen Notizen sind eine 

persönliche Interpretation über Farb- und Formwahrnehmung, die laut Wittgenstein durch unterschiedlicher kultureller und ethnischer Prägung variieren können. In Kirkebys Idee, steht jede der vier Farbradierungen für einen bestimmten Abschnitt der Schriften: der erste Teil ist inhaltlich besonders anspruchsvoll, dies spiegelt sich in einer farbfrohen und „gefüllten“ Radierung wider. Genauso wie die Textkomplexität nimmt auch die Intensität der Arbeiten ab, denn die weiteren drei Blätter werden blasser und die Anzahl der Farben reduziert sich, sodass mehr Weißflächen sichtbar sind.  

Das 4. OG. des Münchner Büros ist der Rückzugsort der Mitarbeitenden. Hier können sie den Austausch im Team suchen (offene Büroflächen), ungestört ihrer Arbeit nachgehen oder vertraulichen Gesprächen nachgehen (Fokuskabinette). An der langen Wand, die sich durch das ganze Gebäude zieht, hängt ein  Ausschnitt der Sammlung. Es bestehen hier weder Hierarchien in der Wertigkeit der Werke noch gibt es eine inhaltliche Stringenz. Viel mehr ist es ein Versuch, verschiedene Medien, unterschiedliche Positionen der Sammlung so zu kombinieren, dass Brücken oder Assoziationen entstehen. Diese können auf ähnliche Farben oder Formen basieren, oder aber durch ein gleiches Medium hervorgerufen werden.  Befindet man sich frontal zur Wand und betrachtet das linke Ende, stößt man auf eine Kombination dreier Arbeiten. Am linken Äußeren eröffnet die Zeichnung eines Fußes des Amerikaners Carl Ostendarp (*1961). Bekannt wurde er für seine Darstellungen, die an Comics erinnern und meist Körperteile oder Wortlautmalerei miteinbeziehen. Dieser Fuß wird ergänz von einer Edition von Luc Tuymans (*1958) in der ein Kopf abgebildet ist: Die zwei Endes des menschlichen Körpers. Es folgt eine kleine Malerei von Richard Allen Morris (*1933). Sie ist eine reduzierte und abstrakte Arbeit, die eine Perspektive suggeriert. Damit bricht sie mit den vorherigen und figurativen Darstellungen. Gleichzeitig werden dadurch farbliche Elemente aufgegriffen, wie das grau oder das orange. 

Die Malerei steht im Kontrast zu der ersten Kombination von Werken, eröffnet und leitet zur nächsten  Sequenz über, die in ihrer Anordnung und Farbgebung die ersten beiden Werke zitiert. Eine ähnlich aufgebaute Kombination befindet sich fast am Ende der anderen Seite der Wand. Hier befinden sich eine Fotografie und ein Druck von Jürgen Partenheimer (*1947), die in limitierter Auflage als Beigabe zum Kienbaum Artists´ Book des Künstlers entstanden. Diese zwei gerahmten Arbeiten haben das gleiche Format, sind in der Farbigkeit und der Technik deutlich unterschiedlich; dennoch erzeugen sie die Wirkung, als wären immer schon ein Paar gewesen. Sie heben sich von den umliegenden Arbeiten ab und zeichnen sich eben als gewollte Kombination aus. Dies passiert auch, weil wieder eine kleine Malerei des Amerikaners Richard Allen Morris im Spiel ist: Erneut werden dadurch bestimmte Farben der Beigaben aufgegriffen und eine markante Abgrenzung zu den folgenden Werken erzeugt.

Weitere Arbeiten an der Wand bestehen aus Drucke, Fotografien, Poster, Editionen und Jahresgaben, sowie kleine Malereien. Mit einer unterschiedlichen Anzahl an Werken sind ebenfalls vertreten: Lore Bert (*1936)Christopher Wool (*1955)Robert Polidori (*1951)Alexandra Bircken (*1967)Keith Sonnier (*1941; 2020)David Goldblatt (*1930; 2018)Michael Wesely (*1963)Alice Aycock (*1946)Joachim Bandau (*1936)Katharina Grosse (*1961), Sean Scully (*1945)Alan Charlton (*1948)Edward Burtynsky (*1955)

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